235. Scheidestunde

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von Carolus Borromeus in “Unweisheiten aus der Provinz”

Montag, den 19. Dezember 2022

In unserem bevorzugten Sonnenstudio begegnen wir eine reife Dame. Wir werden uns rasch gut und finden ein Wohlgefallen als zukünftige Schwiegermutter resp. Schwiegersohn an einander. Es finden des öfteren Treffen statt, nur die zukünftige Braut glänzt jedes Mal durch Abwesenheit. Wir sinnen  auf eine Zurechtweisung dieses nichtsnutzigen Weibchens, das sich so beharrlich unserem Familienglück zuwider stellt.

Eines Tages besuchen wir unsere auserwählte Schwiegermama und schenken ihr sehr betont rote Rosen. Sie ist entzückt.

Und dann plötzlich eröffnet sich die Tür vom Nebenzimmer und da steht sie, unsere künftige Verlobte: eine Mädchen von überraschender, blendender, überwältigender Schönheit, in träumerischen Sinnen verloren. Wir vergehen vor Schüchternheit und können nur murmelnd ausbringen, daß wir wiederkommen könnten, wann sie es will. Vor allem aber täglich. Wenn möglich natürlich.

Sie lacht uns an und sagt: „ Ich schenke Euch meine Hochachtung zur Gedächtnis dieser Scheidestunde. „  Sie verschwindet und läßt sich nie mehr blicken. Vergeblich versucht unsere liebe zukünftige Schwiegermama uns noch mit alten  Minnegesängen zu trösten, aber wir wissen jetzt: unglücklich ist nicht der gescheiterte Liebhaber, unglücklich ist nur der enttäuschte Idiot.

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Carolus Borromeus

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