162. GEHEIME BUSSÜBUNGEN

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von Carolus Borromeus in “Unweisheiten aus der Provinz”

Montag, den 26. Juli  2021

Die Worte der Schwiegermutter bringen heute mächtig Aufregung in unser Haus.

Sie sitzt morgens schon sehr zwiespältig da, als sie uns sagt: „Noch heute verspüre ich auf meinem Gesicht die Träne, die ich schon immer vergießen wollte. Wenn ich Euch brauche, entschuldigt Ihr Euch. In dieser Brutstätte von Verhöhnungen, denen ich dauernd  ausgesetzt bin, höre ich Euch nie das Hohelied des Geistes singen, als die vollendende Verheißung des klugen, kleinen Lernens, als die klärende Gewalt, als Trost und Zuflucht und Lebensmacht. Die Kräfte des Unermüdlichen in mir haben sich verzehrt.”

Ihre Worte klingen wie die Posaune des Weltgerichts. Uns steht das Entsetzen im Gesicht, wir sind entgeistert bei dem Gedanken, jählings mit unseren unrechten Werken vor den göttlichen Richter treten zu sollen.

Es befremdet uns zu sehen, dass unsere Ankündigung uns fortan täglich beim Morgengrauen in den Stadtpark zu begeben, um dort im chinesischen Pavillon zur Entsündigung geheime Bußübungen zu machen, sie nicht beruhigen kann. Sie sagt noch: ” Przwlt”, und überlässt sich seitdem schweigender Betrachtung.

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Carolus Borromeus

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